Emetteur: Raphael Ritz

Destinataire: Lorenz Justin Ritz

Lieu d'envoi: Düsseldorf

Date d'envoi: 24-01-1854

Sources complémentaires

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Raphael Ritz à son père Lorenz Justin Ritz à Sion. Sa maladie et son indisposition - Hiver austère - Travaux avec le professeur Mürke - Grande exposition d'art - Nombreuses usines et vie chère - Invitation chez le peintre d'église Deger avec Meyer et Ittenbach.

Düsseldorf, den 24. Jänner 1854

Beste Eltern!

Ich beginne diesen Brief mit Recht mit einer Bitte um Verzeihung wegen meinem allzu langem Stillschweigen. Es macht mich billig bestürzt, dass ich Ihnen durch dieses Stillschweigen so viel Kummer und Besorgniss verursacht habe. Ursache dieses Säumens waren aber auch nicht bloss Nachlässigkeit und Mangel an Zeit, denn solche hätte ich mir zu einem Briefe wohl machen können und sollen, sondern auch mein Unwohlsein bis Mitte Dezember. Denn ich war von Mitte November’s an einen ganzen Monat unpässlich, indem ich besonders an Kopf- und Augenschmerzen litt, oft auch an Magen- oder Verdauungsleiden. Doch hätte ich Ihnen allerdings früher schreiben können und sollen, wenigstens gleich von meiner Herstellung an und hierin muss ich mich mit Beschämung und Reue meiner Saumseligkeit im Briefschreiben überhaupt anklagen, was bei mir zur bösen Gewohnheit geworden ist, die hier noch zugenommen hat, weil mir nun nur noch die späte Macht zum Briefschreiben übrig bleibt; doch ich will trachten, diese Gewohnheit zu unterdrücken. – Nach Stans habe ich um Mitte Dezembers geschrieben; auch Sie werden meinen Brief vom Neujahr endlich erhalten haben, der sich wie es scheint, mit dem Ihrigen gekreuzt hat. –

Es war freilich auch kein Wunder, dass ich unwohl war; die plötzliche so grosse Veränderung des Klimas, der Lebensweise, der Nahrung (auch diese ist hier ganz anderer Art, – Brod und Fleisch sind hier durchschnittlich schlecht, auch die Milch. Bier trinke ich nicht, da es zu theuer ist, jedes Glas kostet 16 cents[1] – als in der Schweiz), die Einheizungsart und der sehr strenge Winter, das waren für mich gründliche Ursachen zu den[2] genannten Leiden. Der Winter soll seit vielen Jahren nie mehr so streng geworden sein. Zuerst, im November, hatten wir oft sehr dichte, kalte und übelriechende Nebel, dann schneidende Nordwinde, eine grimmige Kälte, grossen Schnee, dem endlich ein heftiges Sudelwetter ein Ende machte .

Seit Mitte Jänner nun haben wir keinen Schnee mehr und das schönste Wetter. Der Rhein soll seit einem Jahrhundert nie mehr so niedrig gewesen sein, wie im November und Dezember, und führte lange ungeheure Eismassen, so dass die Schiffbrücken abgertragen werden mussten, die Schiff- fahrt und der Verkehr sogar zwischen beiden Ufern gehemmt, oft ganz unterbrochen waren. –

Seit Mitte Dezember befinde ich mich ganz wohl und kann nun seither ungehindert tüchtig arbeiten; beim Zeichnen bediene ich mich einer Conservationsbrille, die mir sehr gute Dienste leistet, (namentlich beim Aktzeichnen Abends). Ich fahre wieder in Prof. Mücke’s Atelier fort, was für mich ungemein vortheilhaft ist, besonders für die Zeichnung. Ich kann da gewiss sehr viel gewinnen, und um so mehr, da ich hier nun auch einen tüchtigen Eifer, Fleiss und Lust zur Kunst bekommen habe. Es ist freilich auch sehr theuer, aber ich gewinne doch viel an Zeit, was ich an Geld ausgebe. – Bei der letzten Lehrer-Conferenz habe ich bereits erst die vierte Anwartschaft erhalten, da nur ein Einziger aus dem Antikensaale getreten ist. Zwei Antikenschüler arbeiten nun wieder an den Cartons, um in die Malerklasse zu steigen, so dass ich bei der nächsten Conferenz vermuthlich bereits die zweite Anwartschaft erhalte, somit geht’s mit dieser Anwartschaft lange genug, (ein Loos, dass ich jetzt mit Vielen Andern, die vor und nach mir verspätet ankamen, theilen muss). Aber was ist da anders zu machen? – Die Zeit in der Elementar-Zeichnungsklasse zu vertreiben, das wäre Zeitverlust, da ich daselbst zu wenig oder keinen Fort- schritt machen könnte. Es ist für mich die höchste Zeit, tüchtig nach der Antike und dem lebenden Modell zu zeichnen und mit der Zeit so viel wie möglich, zu wuchern und nicht bloss zu kopiren. –

Seit dem letzten Sontage ist hier eine grossartige aussergewöhnliche Kunstausstellung; sie enthält ebenfalls durchweg Genrebilder, historische Genrebilder und Landschaften, auch einige Porträts, Stillleben und Thierstücke, aber bloss ein Paar welthistorische Bilder und ein Einziges Biblisches (von Mengelberg). Sie hat viele herrliche Gemälde, von Lessing, Hübner, Prof. Sohn, Hasenclever (der im Dezember starb), Jordan, Bewer, Siegert etc., Landschaften von Prof. Schirmer, Achenbach, Larson, Schulze, Lemo etc. Das Lokal ist in der ehmaligen Bildergallerie, die A. 1805 von hier nach München versetzt worden ist (unter dem Vorwand, sie gegen die Franzosen zu schützen), wo sie geblieben ist und von der hier nur wenige Bilder übrig geblieben sind. –

Die hiesige Schule haltet sich vor Allen andern Schulen ganz besonders an die Natur. Daher steht sie im Genrefache, Porträt und Landschaft anerkannt am höchsten in Deutschland; im Historischen hingegen soll München sehr überlegen sein. – Schon in der Akademie, in den Malerklassen, wird nicht nach Bildern kopirt, sondern nach dem Leben gemalt.

Handel und Industrie sind hier ungemein gross, es hat hier sehr viele Fabriken und die Gegend ist überhaupt die bevölkertste von ganz Preussen (verhältnissmässig des Flächeninhaltes). Daher sind die Lebensmittel und Wohnungen auch so theuer, besonders in diesem Jahr (von 1853 an), wie ich hörte, wohl ein Drittel theurer als in München. – Es sind hier zwei Bahnhöfe (und einer jenseits des Rheins), von denen 4 Eisenbahnen ausgehen und wo täglich wenigstens 40 Bahnzüge ein- oder auslaufen. Auch die Schifffahrt auf dem Rhein ist sehr bedeutend. –

Jüngst war Herr Oberst Meyer-Bühlmann aus Luzern einige Zeit hier, mit seinem Sohn. Am 8ten dieses Monat war ich Abends mit diesen beiden Herrn und mit Maler Ittenbach bei dem berühmten Kirchenmaler Deger eingeladen. Der Sohn des Herr Meÿer-Bühlmann malt als angehender Landschafter in Professor Schirmer’s Privat- Atelier, wo auch Bütler (der im Dezember hier angekommen ist) arbeitet. –

Schliesslich bitte ich Sie nochmal um gütige Verzeihung und Nachsicht wegen meiner Saumseligkeit im Briefschreiben, danke Ihnen für die Neujahrswünsche, erwiedere selbe wieder von ganzem Herzen und grüsse Sie, Mama, Wilhelm und Lorete viele tausendmale.

Ihr dankschuldigster Sohn Rafael Meine Grüsse und Empfehlungen an die Herrn Berchtold, Calpini, Rion, Henzen, Tavernier und so weiter –

[1] Au fond de la page

[2] Au-dessus de la ligne