Emetteur: Raphael Ritz
Destinataire: Lorenz Justin Ritz
Lieu d'envoi: Düsseldorf
Date d'envoi: 06-01-1854
Raphael Ritz à son père Lorenz Justin Ritz. Vœux de Nouvel An - Description de sa vie et de sa profession - Les peintres et les artistes - Description de la ville - Demande d'envoi de livrets de musique.
Theurste Eltern und Geschwisterte!
Ihren lieben Brief habe ich mit grosser Freude erhalten und hätte ihn auch längst schon beantworten sollen, wenn nicht einige hindernde Umstände und gänzlicher Mangel an Zeit das Schreiben verschoben hätten. Ich bitte Sie dafür um gütige Vergebung wegen meinem langen Stillschweigen. Ich beginne diesen Brief mit den herzlichsten, alles Gute umfassenden Neujahrswünschen an Sie, beste Eltern und an meinen lieben Geschwisterten. Der Allgütige verleihe Ihnen allen die Fülle des reichsten Segens, tausendfache Belohnung, vollkommenstes Glück in allem, noch recht viele Jahre des besten, frohesten Wohlseins, überhaupt alles Gute für Leib und Seele und einstens die ewige (Vereinigung| Vereinsgung?) mit den Seligen im Himmel. Nehmen Sie diese kurzgefassten, aber von ganzem Herzen kommenden Glückswünsche gütigst an. –
Ich komme nun zu meinem Düsseldorfer Leben. Wie Sie wissen, konnte ich aus Mangel an Raum für einstweilen noch nicht in den Antikensaal treten. Am 5ten November war nun das LehrerCollegium (auch Lehrerkonferenz genannt); und ich erhielt (am 8ten Nov.) von demselben die Antwort: Es sei mir die Anwartschaft auf den fünft nächsten Platz, der im Antikensaale frei wird, zuerkannt worden, da augenblicklich kein Platz frei ist. Es wurde mir jedoch bereits das Zeichnen nach dem Akt, der Lesung der Anatomie, Perspektive etc. gestattet. Damit ich aber den ganzen Tag durch gehörig beschäftigt sei, so hatte ich nun die Wahl, entweder die Elementarklasse oder ein Privat-Atelier zu besuchen (In die Malerklasse hätte ich noch nicht treten können, weil ich noch nie nach dem Akt und überhaupt zu wenig nach dem Leben gezeichnet habe).
Der Besuch der Elementarklasse aber wurde mir allseitig abgerathen, ich würde da viel Zeit verlieren und wenigen Gewinn und Fortschritt machen können. Die Hrn. Direktor Schadow und die ebenfalls berühmten Maler Andreas und Karl Müller, Ittenbach und andere gaben mir nun den Rath, einstweilen in einem Privat-Atelier zu zeichnen; ich werde da bei weitem am meisten gewinnen; sie empfahlen mir besonders das Atelier des vortrefflichen Historienmalers Hr. Mücke, der besonders in der Zeichnung und Composition ausgezeichnet ist und stets Schüler hat. Ich gehe also in dieses Atelier und kann nun da den ganzen Tag tüchtig nach der Antike (Gÿpsabgüssen, Büsten und ganzen Figuren) und nach dem lebenden Modell, (mitunter auch nach Draperien) zeichnen.Ich habe dabei die vortrefflichste Leitung und kann in jeder Hinsicht sehr viel gewinnen, besonders in der Zeichnung, was mir besonders noth thut. Hr. Mücke ist in derselben sehr genau. Abends zeichne ich in der Akademie nach dem Akt (von 5 bis 7 Uhr Abends, im Winter), und besuche daselbst auch die Vorlesung über Anatomie und Perspektive, so dass ich jetzt bis 8 Uhr abends und später stets beschäftigt bin. –
In diesem Atelier sind nun erst eigentlich der rechte Eifer, Fleiss, Freude und Muth an der Kunst in mir erwacht; ich sehe nun ein, wie ein Künstler so beständig fleissig sein muss. Freilich muss ich auch für den Monat zwei Friedrichs d’or Unter diesem Preis kann man hier keine Ateliers besuchen[1] zahlen, um diese Kosten aber zu vermindern, so habe ich mich dagegen andererseits auch gehörig eingeschränkt; ich logire zwar noch in demselben Hause, habe mich aber wohlfeiler eingerichtet, so dass ich monatlich nur noch 11 Thaler (statt 14) für Kost und Logie zahlen muss; überdiess besuche ich weder Theater, noch Opern, noch Conzerte, auch nicht einmal die Wirtschaft der Maler (Malkasten genannt) und entbehre und hause überhaupt so viel ich nur kann. – Sollte ich nun bei der nächsten Lehrer-Conferenz (am 7. Jänner) im Antikensaale noch nicht Platz finden, so möchte ich Sie fragen, ob ich fortfahren darf, das Atelier von Hr. Mücke zu besuchen, bis ich Platz im Antikensaale finde. –
Die Professoren und Fächer der hiesigen Akademie sind folgende: v. Schadow, Direktor und Professor der Composition und Meisterklasse; Wintergerst, Inspektor; Sohn, Professor des Antikensaales und mit Hildebrandt Prof. der Malerklasse; Mücke, Professor der Anatomie; Schirmer, Prof. der Lanschaftklasse; Wiegmann, Prof. der Architektur und Perspektive; Keller, Prof. der Kupferstecherkunst; Mosler, Prof der Kunstgeschichte. Beim Akt korregiren alle Professoren abwechselnd; nach Neujahr werden von 7 bis 9 Uhr auch noch Draperiestudien gegeben.[2]
Die Akademie liegt am Rhein und enthält auch eine Bildergallerie, die unter andern noch[3] einen kolossalen Rubens (Maria Himmelfahrt), ein Luca Giordano, Velasquez etc. und mehrere Neuere, besonders aus der Düsseldorfer Schule, besitzt, so wie eine grosse Sammlung von Handzeichnungen berühmter alten Italiäner, von Kupferstichen und Aquarellen etc. – In demselben Lokale findet im Sommer die grosse Kunstausstellung v. Rheinland und Westphalen statt. Sehr interessant und ungemein lehrreich ist auch die permanente Kunstausstellung (in einem andern Lokale), (die stets erneuert wird, durch das Hinzutreten neuer Bilder und das Weggehen früherer), die ebenfalls Gemälde, Cartons, Zeichnungen etc. aus allen Theilen der Malerei enthält. Sehr vorherrschend sind aber jederzeit Genrebilder und Landschaften; die Düsseldorfer-Schule übertrifft in diesen zwei Richtungen alle andern Schulen. Sie hält sich überhaupt mehr an die Natur, als die andern Schulen. Doch hat’s hier auch einige grosse Historien- und Kirchenmaler. Unter den Malern religiöser Bilder überragt Deger alle; ihm folgen die Gebrüder Müller, Ittenbach, alle innigst religiös ; so auch ferner der grosse Schadow, Mintrop unter anderen . Unter den profanen Historienmaler vor allem Lessing, zugleich auch der grösste Landschaftsmaler. Fernere Historienmaler berühmten Namens sind:
Leutze, Hildebrand, Köhler (malt aus dem alten Testamente), Sohn, der trefflichste Kolorist; Mücke, malt besonders schöned Bilder[4] aus dem Mittelalter, ist aber auch in heiligen Bildern sehr glücklich; Camphausen, der Schlachtenmaler und so weiter Genremaler hat’s eine grosse Zahl; die hervorragendsten sind: ebenfalls Lessing, Leutze, Jordan, Tidemand, Hübner, Hasenclever, (letzthin gestorben), und so weiter Unter den Lanschafter vor allem Lessing, Schirmer, Andreas Achenbach, Weber etc . – Die berühmten Historienmaler Bendemann, Julius Hübner, Plüddemann, und so weiter , ebenfalls der hiesigen Schule angehörig, sind nach Dresden; Settegast (Kirchenmaler) nach Frankfurt am Main – und so weiter
In Betreff der Gesundheit befinde ich mich jetzt ganz wohl, in den ersten 6 Wochen aber hatte ich manchmal Unpässlichkeiten, besonders Kopfschmerzen, auszustehen (doch war ich nie bettlägerig), als Folge der Veränderung des[5] Klimas, der Lebensweise, und auch das Einheizen mit Steinkohlen in Eisenöfen war daran Schuld; nun aber habe ich mich an dieses alles gewöhnt und befinde mich wohl. Das Klima soll nach aller Zeugniss sehr gesund sein. – Auch noch etwas über Düsseldorf selbst, so weil der Raum dieses Briefes noch gestattet. Die Stadt besteht aus der Altstadt (am Rhein), aus der neuen Friedrichsstadt, die sehr regelmässig gebaut sind, mit sehr breiten Strassen, mehrere grossen Plätzen etc. Die interessantesten Gebäude sind die 3 Pfarrkirchen, die Akademie (ehmals das Schloss des Kurfürsten), der Jägerhof oder die Residenz Sr. k. H. des Prinzen Friedrich von Preussen mit dem grossen schönen Hofgarten etc., die grosse Kaserne (Düsseldorf hat 2000 Militärs in Garnison: Uhlanen, Husaren, Jäger, Füsiliere) mit der Garnisonskirche, das Rathhaus, Ständehaus, Regie- rungshaus, Gymnasium, Theater, Kloster der barmherz. Schwestern, die zwei Eisenbahnhöfe, und so weiter . Die Stadt hat ferner sehr schöne Garten-, Park-, Wasseranlagen (Kanäle und Teiche), und andere Vergnügungs-Anstalten, einen Hafen (in dem jetzt etwa 12 Dampfschiffe mit 20 Kaminen etc., über- wintern), Schiffbrücke und so weiter Ringsum mehrere Vorstädchen etc. –
Ich schliesse nun, indem ich mich auch fernerhin auf’s Innigste in Ihre Liebe, Güte und Nachsicht empfehle, Sie um Verzeihung für die Fehler bitte, dies ich im Laufe des vergangenen Jahres gegen Sie begangen und Sie, Mama, Wilhelm und Lorete 1000 Fach grüssend und Allen die Fülle alles Guten wünsche. Ihr dankschuldigster Sohn und Bruder Rafael
[1] En dessous de la ligne
[2] Dans la marge gauche
[3] Au-dessus de la ligne
[4] Au-dessus de la ligne
[5] Au-dessus de la ligne